Sachlich texten, ohne Hass zu schüren

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Lassen sich Online-Diskussionen in Zeiten von Hatespeech und Verschwörungserzählungen trotzdem erfolgreich moderieren? Dieser Frage ist der Hessische Rundfunk (hr) mit einem interdisziplinär besetzten Team über mehrere Monate nachgegangen. Tom Klein leitete das Projekt und berichtete über die Ergebnisse Mitte Mai 2022 in einer Web-Konferenz der BdKom-Landesgruppe Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland.

Hatespeech, Polarisierung und Desinformation gab es schon vor Corona in den Kommentarspalten der hr-Social-Media-Angebote. Das Virus und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft hätten aber wie ein Turbo-Booster gewirkt, sagte Klein. Unsicherheit und Nichtwissen über die Auswirkungen der Pandemie hätten bei den Menschen zum Teil große Ängste ausgelöst, während es gleichzeitig ein erheblich gestiegenes Wissens- und Austauschbedürfnis gab. Unter diesen Krisenbedingungen seien die Herausforderungen für das Community Management noch einmal deutlich sichtbarer geworden.

„Je mehr Informationen über Corona vorhanden waren, desto mehr Desinformationen kamen auch in Umlauf. Waren früher alle Deutschen Bundestrainerinnen und -trainer, waren nun alle Covid-Experten und Expertinnen“, so Klein. Auch die Menge der Kommentare war mitunter kaum mehr in den Griff zu bekommen. Ein Posting der Hessenschau auf Facebook über Polizeikontrollen der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln bekam zum Beispiel mehr als 15.000 Kommentare, mit einem hohen Anteil toxischer Inhalte.

Die Redaktion müsse jeden solcher Kommentare lesen, bewerten und gegebenenfalls darauf reagieren, führte Klein aus. Gesetzeswidrige Inhalte müssten gelöscht und mitunter auch angezeigt werden. Das greife in dieser Dimension auch irgendwann die Psyche der Community Manager an: „Selbst mit viel Erfahrung und Routine geht so etwas nicht spurlos an einem vorbei.“

Analyse der Ursachen
Der hr stellte daher ein interdisziplinär besetztes Team aus Sozial- und Rechtswissenschaften, Psychologie, Agile Coaches sowie Praktikern zusammen. Aufgabe war es unter anderem herauszufinden, wie Debatten in den Kommentarspalten konstruktiver und weniger aggressiv gestaltet werden können. Wann können die Community Manager eine Person nicht mehr erreichen? Und wie kann der hr als Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden den Rücken bei ihrer oft belastenden Tätigkeit stärken?

Wichtige erste Erkenntnis des Projekts war, dass es nicht die Schuld der Community Manager sei, wenn sich User in Kommentarspalten danebenbenehmen, das sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Zweite Erkenntnis: Da die krisenhaften Zustände nicht abnehmen, sondern sich durch Corona und den Krieg in der Ukraine aktuell sogar überlappen, werde auch die Informationsverarbeitung im Krisenmodus nicht so bald enden. Besonders wichtig sei es daher, die psychologischen Auslöser für Hass und Verschwörungsdenken im Krisenkontext zu verstehen. Sind etwa bei Menschen eine oder mehrere der psychologischen Grundbedürfnisse wie „Positives Selbstbild“, „Soziale Akzeptanz“, „Sicherheit/Ressourcen“ sowie „Autonomie/Freiheit“ nicht ausreichend erfüllt, werden sie unter Umständen aggressiv.

Hintergründe verstehen
Ein wichtiges Learning ist daher, im Community Management diese Grundbedürfnisse zu achten und den Kommentierenden zu vermitteln, dass man diese sieht. Klein konkretisierte: „Es geht darum zu erkennen, was eigentlich für eine Botschaft, was für ein (nicht erfülltes) Bedürfnis hinter einem aggressiv formulierten Kommentar steht. Und dann zu schauen, ob die Diskussion durch eine entsprechende Moderation auf diese Motivebene gelenkt und dort konstruktiv fortgesetzt werden kann.“

Ein weiterer Baustein der neuen hr-Strategie sei die sogenannte „Empowernde Kommentarmoderation“.  Hier geht es laut Klein darum, den Fokus weg von der Bearbeitung und Begrenzung negativer Kommentare zu nehmen, sondern stattdessen positive Beiträge stärker zu würdigen und zu verstärken.

Außerdem wuchs durch das Projekt das Bewusstsein, dass die Kommentarspalten der Social-Media-Angebote eigene journalistische Produkte sind, weil sie erklären und einordnen und somit zur Meinungsbildung beitragen.

Die vorausschauende Ausarbeitung von Antwortvorschlägen auf denkbare Fragen und Krisenszenarien in den Kommentarspalten der einzelnen Beiträge hat sich beim hr auch als wirkungsvoll erwiesen. Diese Art der Dokumentation ist wichtig, damit bei einer Social-Media-Anfrage das zuständige Team nicht wieder neu mit der Recherche starten muss. Klein sagte: „Das Community Management fängt schon bei der Erstellung der Inhalte an. Dabei sollte beispielsweise auf polarisierende Überschriften oder Formulierungen verzichtet werden. Die Bundestagswahl war keine ‚Schlacht der Parteien und Kandidaten‘, wie in manchen Artikel im Internet zu lesen war. Mit solchen Formulierungen schafft man die Grundlage für nachfolgende Hatespeech.“

Text: Oliver Claas
Bild: Jon Tyson/Unsplash