Experten warnen auf einer Fachkonferenz des Bundesverbands deutscher Pressesprecher vor den Auswirkungen der EU-Datenschutzgrundverordnung. Ministeriumsvertreter wiegeln ab. Die „Phase der Unsicherheit“ wird andauern – womöglich so lange, bis das erste Gericht ein Urteil fällen muss.
Der Vergleich scheint auf den ersten Blick beinahe extrem. Doch trifft das Gleiche nicht auf die Auswirkungen der EU-Datenschutzgrundverordnung zu? „Wenn sie unverändert so kommt, wie es momentan absehbar ist, wird sie der größte Einschnitt in die professionelle Kommunikation seit Erfindung des Internets sein“, prophezeite BdP-Präsidentin Regine Kreitz in ihrer Begrüßung zur Fachkonferenz Ende März in Berlin. Nicht nur, dass die tägliche Pressearbeit erheblich betroffen ist. Es geht letztlich auch um die Meinungsfreiheit.
DSGVO – fünf Buchstaben, unzählige offene Fragen. Um die drängendsten von ihnen erörtern zu lassen, hatte der Bundesverband deutscher Pressesprecher rund ein Dutzend Experten und mehr als 70 Zuhörer in die Reinhardtstraßen-Höfe im Stadtteil Mitte geladen. Unter dem nicht unprovokanten Arbeitstitel „25. Mai 2018: Der Tag, an dem moderne Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland endet?“ wurde fünf Stunden lang debattiert, abgewägt, gewarnt, beschwichtigt, appelliert, moniert.
An einem einzigen intensiven Nachmittag jedoch eine Patentlösung für die sich abzeichnenden Probleme zu finden, war von vornherein utopisch gewesen und konnte ergo auch nicht das Ziel sein, wie BdP-Justiziar Jan Mönikes betonte. Doch Positives hat die Fachkonferenz erreicht.
Vertreter von BMI und BMJV wiegeln ab
Der Vertreter des in puncto DSGVO federführenden Bundeministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Jörg Eickelpasch, und sein Kollege Ulrich Deffaa vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) scheinen nun immerhin ebenfalls ein Risiko zu erkennen, das für Kommunikatoren und Öffentlichkeitsarbeiter − also für Nicht-Presse- oder Nicht-Medienvertreter − mit der neuen Verordnung einhergeht. Jedenfalls legen es ihre Äußerungen nahe.
Gleichwohl vertrat Eickelpasch im Kern die Hoffnung, dass die Auswirkungen der DSGVO so gravierend schon nicht werden dürften, dass die bestehenden nationalen Gesetze in diesem spezifischen Bereich − wie Grundgesetz (GG) und Kunsturhebergesetz (KUG) − nach wie vor von erheblicher Bedeutung bleiben und dass im Zweifelsfall halt Gerichte Urteilssprüche mit Augenmaß fällen werden. Mit anderen Worten: Der BMI-Vertreter sieht zwar das Problem, erkennt jedoch keinen akuten Handlungsbedarf.
Es wird sich schon alles irgendwie regeln? Überzeugend fand diese Sichtweise wohl kaum einer der Anwesenden. BdP-Justiziar Mönikes etwa stellte nüchtern fest: „Im Zweifel ist das, was Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter tun, aus Sicht von Gerichten: Werbung.“ Und damit wohl kaum ähnlich schützenswert wie Meinungsäußerungen der Presse.
Es gäbe Lösungsmöglichkeiten
Simon Assion, Rechtsanwalt bei der Frankfurter Kanzlei Bird & Bird LLP und Blogbetreiber, betonte: „Neu ist, dass die DSGVO das Risiko für alle Beteiligten deutlich erhöht und dass es nicht mehr möglich sein wird, die Probleme, die damit einhergehen, einfach zu ignorieren.“
Artikel 85 DSGVO, der sich auf die „Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“ bezieht und der den EU-Mitgliedsstaaten Raum für die Harmonisierung von nationalem mit EU-Recht lässt („Öffnungsklausel“), sei eine Lösungsmöglichkeit – „keine optimale, aber immerhin“. Eine modifizierte Lösung nach schwedischem Vorbild könnte Rechtssicherheit für Öffentlichkeitsarbeit und PR in Deutschland bringen – wenn denn der Gesetzgeber den Handlungsauftrag annehmen würde.
Wer hat Recht? Und vor allem: Wer bekommt Recht?
Assion zeigte insgesamt drei Lösungsansätze auf, die unter Juristen im Land derzeit diskutiert werden. Einen davon propagiert der „Mitbegründer“ der DSGVO, der deutsche Europa-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Grüne). Im Kern lautet dessen Ansatz: Alles bleibt beim Alten, Artikel 5 GG („Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“) nutze bereits die Öffnungsklausel des Artikels 85 DSGVO.
Die deutschen Datenschutzbehörden allerdings sind der Ansicht, der nationale Gesetzgeber müsse das bestehende Recht an die Anforderungen der DSGVO anpassen. Ein Widerspruch. Die Rechtsauffassung des BMI, dass sich vielen Probleme unter Verweis auf Art. 6 Abs. 1 e) DSGVO im öffentlichen Bereich und durch Abwägung nach Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO mithilfe der Gerichte klären ließen, hielt Assion dagegen für vertretbarer. Für die Betroffenen wäre es aber die weitaus schlechtere Lösung als eine gesetzliche Klärung.
Wer hat Recht? Und, für professionelle Kommunikatoren und Öffentlichkeitsarbeiter entscheidend: Wer bekommt am Ende Recht, wenn beispielsweise ein auf einem Firmenfest fotografierter Bürger darauf pocht zu erfahren, wo wie was warum über ihn im Unternehmens-Archiv gespeichert wurde – und dann gar die Löschung seines Konterfeis aus einem Gruppenbild auf der Firmenwebsite verlangt?
Eindringliche Warnung vom Datenschutzexperten
Florian Klein, Autor einer Dissertation zum Thema „Personenbilder im Spannungsfeld von Datenschutzgrundverordnung und Kunsturhebergesetz“, machte eindrücklich klar, dass ein Vorrang der DSGVO gegenüber dem KUG für alle in der PR erhebliche und in der Praxis kaum lösbare Probleme nach sich ziehen wird.
Dass es solche Fälle geben wird, daran ließ auch der Berliner Datenschutzexperte Niko Härtingkeinen Zweifel. „Es wird den Versuch geben, massiv Bürger dazu zu bewegen, ihre Rechte auf Auskunft geltend zu machen.“ Und es werde Versuche von Anwälten geben, damit massiv Geschäfte zu machen, prognostizierte er und erntete dafür nachdenkliches Nicken im Saale.
Zudem sieht die DSGVO sehr kurze Fristen für Informationspflichten und zur Beantwortung von Auskunftsbegehren vor. Würden diese jedoch nicht rechtzeitig erfüllt, seien Beschwerden bei den Datenschutzbehörden und letztlich Klagen programmiert.
Man habe es mit einem Regelungsdefizit besonders im Bereich der Behörden-PR zu tun, meint Härting: „Erstens fehlt es an einer Rechtsgrundlage für Datenverarbeitung überhaupt. Dafür ist es höchste Zeit. Zweitens brauchen wir eine Antwort darauf, ob wir es wirklich darauf ankommen lassen wollen, dass Auskunftsansprüche massiv geltend gemacht werden, die die Öffentlichkeitarbeit letztlich lahmlegen können. Und fraglich ist, ob es klug ist, die ungefragte Pflicht, die Betreffenden jeweils zu informieren, so ungefiltert im Gesetz stehen zu lassen, wie es bisher der Fall ist.“
Bleibt nur das Hoffen auf die Weisheit der Gerichte?
Das Fazit der Fachkonferenz lässt sich gut mit den Worten des Sachverständigen Benjamin Horvath, Rechtsanwalt der Kanzlei Schalast & Partner, zusammenfassen: „Die Welt wird nicht untergehen nach dem 25. Mai. Aber es wird eine unerträgliche Rechtsunsicherheit geben.“ Und einen Paradigmenwechsel obendrein, sofern die Vorteile des seit 1907 geltenden KUG nicht fortbestehen, das sich nach gängiger Meinung sowohl in der Praxis als auch beim Schutz der Persönlichkeitsrechte bewährt hat.
Hoffen also auf die Weisheit der Gerichte? Oder, wie Ulrich Deffaa, Referatsleiter im Bundesjustizministerium, es ausdrückte: „Wir leben derzeit noch in einer Phase der Unsicherheit, des Übergangs. Sie wird so lange dauern, bis Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für mehr Klarheit sorgt.“ Und unter allgemeinem Schmunzeln fügte er an, er wisse ja, wozu Richter fähig seien in ihrer Unabhängigkeit.
Damit wollten sich BdP-Präsidentin Regine Kreitz und die Vertreter von betroffenen Verbänden auf der Fachkonferenz allerdings nicht zufrieden geben. Sie kündigten an, gegenüber dem Gesetzgeber in Land und Bund weiterhin auf mehr Rechtssicherheit durch gesetzliche Regelungen drängen zu wollen.
Der Beitrag wurde in der aktuellen pressesprecher Ausgabe (01/2018) und auf pressesprecher.com veröffentlicht:
Zum Kommentar (pressesprecher.com, 27.03.2018)