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Neue EU-Regeln für Kommunikationsprofis: BdKom-Forum 2021 thematisierte Bedeutung des „Digital Services Act“ für die Branche

Die Europäische Kommission will mit neuen Regeln für soziale Medien und Online-Marktplätze die Macht der großen Internetplattformen wie Google, Facebook und Amazon zähmen. Mit dem Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) und dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act) hat die EU-Kommission eine netzpolitische Grundsatzdebatte entfacht: Es geht um fairen Wettbewerb im Netz, um Meinungsfreiheit, gar um die Zukunft unserer Demokratie.

Was werden die neuen EU-Regeln konkret für Kommunikationsprofis verändern? Darüber sprach BdKom-Präsidentin Regine Kreitz am 23. April 2021 beim ersten digitalen BdKom-Forum mit Kolleginnen und Kollegen aus Unternehmen, Behörden und NGOs, mit Juristen und mit den Mit-Urhebern des Gesetzes: Der Hamburger Prabhat Agarwal ist der zuständige Referatsleiter in der EU-Kommission, der Europaabgeordnete Tiemo Wölken (SPD) begleitet die Gesetzgebung im EU-Parlament mit. Über 200 Teilnehmende lauschten der angeregten Debatte zur Zukunft von professioneller Kommunikation in sozialen Netzwerken.

In der Diskussion stellte sich bald heraus, dass besonders zwei Aspekte der neuen EU-Regeln relevant sind, wenn Kommunikationsverantwortliche Online-Plattformen für ihre Botschaften nutzen.

Droht ein „Overblocking“ legitimer PR von Unternehmen und Organisationen?

Erstens soll der Digital Services Act ähnlich wie das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) die Plattformen verpflichten, Melde- und Abhilfeverfahren für illegale Inhalte zu schaffen. Eine beim BdKom-Forum oft geäußerte Sorge lautet: Wenn die Plattformen EU-weit auf Hinweise reagieren und illegale Inhalte aus dem Netz entfernen müssen, kann dann auch legitime Kommunikation von Unternehmen, NGOs und Behörden gesperrt werden? Laut dem Vorschlag der EU-Kommission bekommen Nutzer*innen zum Schutz der Meinungsfreiheit zwar die Möglichkeit, Entscheidungen von Online-Plattformen anzufechten. Ob dies einem „Overblocking“ tatsächlich entgegenwirken wird, erscheint vielen nach den Erfahrungen in Deutschland mit dem NetzDG fraglich.

Arnd Haller, Legal Director bei Google, verwies darauf, dass unter dem NetzDG in Deutschland allein die Videoplattform Youtube bisher 600.000 Beschwerden zu bearbeiten hatte. „Hochgerechnet auf Europa und hochgerechnet auf alle Anbieter sprechen wir über zig Millionen Beschwerden, die dann über außergerichtliche Streitbeilegung geklärt werden sollen – das ist unpraktikabel“, sagte Haller. Im Zweifel werde jede Plattform möglicherweise rechtswidrige Inhalte vorsichtshalber herunternehmen.

Unstrittig ist, dass eindeutig illegale Inhalte wie Terrorpropaganda und Kinderpornografie gesperrt werden. Jan Mönikes, Rechtsanwalt und Justiziar des BdKom, nannte Beispiele aus dem Graubereich: „Wenn ich als Menschenrechtsorganisation eine Aufnahme eines Polizeieinsatzes in Frankreich verbreite, dann wäre das nach den kommenden französischen Gesetzen ein illegaler Inhalt. Muss die Plattform dann dafür sorgen, das nur in Frankreich zu löschen oder überall in EU?“ Es drohe eine Situation, in der alles geblockt werde, was anderswo illegal ist oder auch nur als illegal empfunden wird.

Staatlicher Druck werde zu mehr Sperrungen nicht nur von rechtswidrigen, sondern nur problematischen Inhalten führen, warnte der Jurist und Publizist Arnd Diringer. Meldungen an die Plattformen kämen oft von „Netzdenunzianten, die sich gezielt und massenhaft zusammenschließen, um gegen Andersdenkende vorzugehen.“ Diringer hat selbst Erfahrungen mit „Overblocking“ und sammelt solche Fälle unter dem Hashtag #Twittersperrt.

Der EU-Beamte Agarwal entgegnete, der Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit sei auch für die EU ein hohes Gut. Schon jetzt jedoch filtern Plattformen Inhalte nach ihren eigenen Hausregeln. Ziel sei es, gleiche Regeln für alle Plattformen zu schaffen, das Flickwerk nationaler Regeln abzulösen und den Betroffenen eine Möglichkeit zu geben, sich gegen Sperren zu wehren.

Mit dem Gesetz wolle die EU-Kommission erreichen, dass die großen Plattformen Verantwortung für die Art und Weise übernehmen, in der sie Inhalte verbreiten, bewerben und entfernen. Die Internetkonzerne sollen systemische Risiken, die von ihnen ausgehen, identifizieren und entschärfen. Dazu gehört auch die Gefahr durch Overblocking. „Hier müssen sich die Plattformen durch behördliche Aufsicht und die Zivilgesellschaft unabhängig prüfen lassen“, sagte Agarwal.

Einer Maximalforderung aus dem Publikum, den Plattformen ihr Haftungsprivileg für nutzergenerierte Inhalte zu entziehen und ähnlich wie Verlage für alle Inhalte haften zu lassen, wollten weder Agarwal nochWölken folgen. Wenn Youtube oder Facebook aber illegale Inhalte gemeldet würden, müsse die Plattform aktiv werden – ungeachtet der Menge solcher Meldungen. „Wer Milliarden mit Werbung verdienen kann, der kann auch Millionen dafür ausgeben, dass er Menschen dafür bezahlt, die entscheiden können, was mit einem Inhalt passiert – gerade wenn es durch Software vorsortiert wurde“, sagte der Europaabgeordnete Wölken.

Werbung über Online-Plattformen wird strenger reguliert

Hiermit sprach Wölken einen zweiten Aspekt der neuen EU-Regeln an, der für Kommunikationsprofis folgenreich sein könnte: Plattformen verdienen ihr Geld mit dem Verkauf von Werbeplätzen. Die Menschen würden in Emotionsspiralen lange auf den Plattformen gehalten, um mehr Werbung angezeigt zu bekommen, sagte Wölken. Deswegen habe er die Kommission aufgefordert, direkt an die Geldquelle der Plattformen zu gehen und gezielte Werbung („Targeted Advertising“) auslaufen zu lassen.

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Nutzer*innen von Online-Plattformen künftig aber nur angezeigt bekommen, ob es sich um Werbung handelt, wer sie geschaltet hat und warum gerade sie genau diese Anzeige zu sehen bekommen. Auch hier schließen sich wichtige Fragen für Kommunikationsprofis an: Gilt die Unternehmenskommunikation und die politische Kommunikation über die sozialen Medien dann auch als Werbung – mit strengen Transparenzregeln? Nach deutscher Rechtsprechung ist die Grenze zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Werbung fließend.

Jochen König, Mitgründer der auf digitale politische Kommunikation spezialisierten Agentur Cosmonauts & Kings, warf die Frage ein, wie der Bundestagswahlkampf 2021 unter den Bedingungen des Digital Services Act laufen würde. „Google, Facebook und Co sind privatisierte, vollmonetarisierte digitale Öffentlichkeiten“, sagte König. „Für Meinungsbildung müssen Sie bezahlen. Organische Reichweite ist zu gering.“ Facebook habe sich Regeln für politische Werbung gegeben, mit Freigabeschleifen für Werbungtreibende von bis zu 72 Stunden. Facebook entscheide also, ob Inhalte zu politischen Themen sichtbar werden.

Prabhat Agarwal verwies auf eine separate Initiative der EU-Kommission zu politischer Werbung, die noch in Arbeit sei. Auch der Digital Services Act werde durch die beiden EU-Gesetzgeber, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten, sicher noch einmal deutlich verändert. Mit einem Abschluss sei frühestens 2022 zu rechnen. „Es ist auch wichtig, dass die Themen vernünftig ausdiskutiert werden“, sagte Agarwal. Der BdKom wird die Debatte weiter verfolgen.

Für alle die nicht dabei sein konnten, ist hier ein Mitschnitt des gesamten Gesprächs zu finden.

Text: Reinhard Hönighaus, Antonia Paul