Nachbericht: im Reallabor „Ideenzug“ der Deutschen Bahn.
30 Jahre sind im öffentlichen Nahverkehr eine ganz normale Planungszeit, denn so lange sind die Fahrgastwagen in der Regel im Einsatz. Umso wichtiger, dass ständig vorausgedacht wird – etwa im Reallabor „Ideenzug“ der Deutschen Bahn.
Die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs steht in einer neu gebauten Industriehalle am Rand des Frankfurter Stadtteils Rödelheim. Oder zumindest ein detailgetreues Bild davon, wie diese Zukunft aussehen könnte. Ähnlich wie Autofirmen, die ihre „Concept Cars“ mit allerlei möglichen und unmöglich erscheinenden Mobilitätsideen ausstatten und dann austesten, hat auch die Deutsche Bahn ein solches Reallabor mit Fahrgastwagen im Maßstab 1:1 entwickelt. Dort kümmern sich die Entwickler:innen insbesondere um das zukünftige Fahren auf der Nahstrecke. Und dabei wiederum vor allem um die Frage, wie sich der vorhandene, durch Schienen, Bahnsteiglängen und Tunnel streng begrenzte Platz in den Fahrgastwagen flexibler und kundenfreundlicher nutzen lässt. „Morgens im Berufsverkehr sollten mehr Menschen bequem in die Züge hineinpassen. Tagsüber braucht es dann wiederum eine Sitzanordnung für die dann fahrenden Menschen, die zum Beispiel Senioren noch besser entgegenkommt“, erläutert Julian Fordon, Senior Manager Marketingstrategie und Kommunikation DB Regio. Eine mögliche Lösung? Schwenkbare und einklappbare Sitze, die, mit entsprechenden Haltegriffen versehen, stehenden Passagieren zugutekommen, wenn die Sitzfläche verschwunden ist. „Japan ist hier Vorbild“, erläutert Fordon. „Dort ist man aufgrund des extrem hohen Passagieraufkommens schon lange mit solchen Lösungen unterwegs.“
Solche Ideen für S-Bahn-Fahrten der Zukunft, die zum Beispiel auch innovative LED-Führungssysteme für Passagiere beinhalten, durfte die BdKom-Landesgruppe Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland am 26. April im „Ideenzug“ der Deutschen Bahn ausgiebig studieren (https://ideenzug.deutschebahn.com/ideenzug). Auf Einladung der Deutschen Bahn (DB) und des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) wurde diskutiert, ob ein S-Bahn-Wagen wirklich spezielle Arbeitsplätze für Pendler und ihre Notebooks braucht (eindeutiges „ja“ der Gruppe), welches Licht im Wagen die Reisenden eher munter macht und welches sie beruhigt und warum Düfte wohl auch auf absehbare Zeit keine Rolle spielen werden. „Es gibt einfach zu viele Allergien und Abwehrreaktionen von Menschen auf bestimmte Gerüche“, sagt Julian Fordon. Beim IdeenzugRegio (Regionalverkehr) und dem IdeenzugCity (S-Bahn) handelt es sich nicht mehr nur um reine Vorführmodelle, sondern einige Ideen haben bereits Einzug in den Regelbetrieb erhalten. Beispiele hierfür sind die S-Bahnen in Hamburg, München und Stuttgart, die einzelne Module in ihren Wagen verbaut haben. Ab Sommer 2023 wird der Ideenzug auch Realität bei der Südostbayernbahn.
Aber nicht nur die ganz praktische Erfahrung im Modell machte diesen sehr informativen Abend aus, sondern auch die spannenden Diskussionen vor und nach der Führung. Etwa über die kommunikativen Herausforderungen, die das Deutschland-Ticket den Verkehrsverbünden bereitet. „Mehr als 60 Tarif- und Verkehrsverbünde und über 600 Verkehrsunternehmen in Deutschland mussten hier in kürzester Zeit ein ganz dickes Brett bohren“, erzählt RMV-Pressesprecherin Vanessa Rehermann. Denn der große Anreiz des Deutschland-Tickets, dass damit alle Tarifzonen wegfallen, bedeutet in der täglichen Praxis der Verkehrsverbünde eine enorme Umstellung, nicht nur in der IT. Und dies in Zeiten, in denen viele Fahrgäste am ÖPNV viel Kritik üben, insbesondere wegen der Baustellen auf den Strecken und deren Folgen. „2022 hatten wir im Rhein-Main-Gebiet 500 Baustellen, dieses Jahr werden es 800 sein. Es ist das Jahrzehnt des Bauens, aber das ist nötig, um unser großes Ziel zu erreichen: 30 Prozent mehr Fahrgäste im ÖPNV bis 2030“, erläutert Rehermann. Marina Kallis, Sprecherin S-Bahn Rhein-Main und Kommunikation Regionalverkehr, ergänzt: „Auch bei der DB gab es im Vorfeld zum Deutschland-Ticket zahlreiche Medienanfragen, die auch durch eine intensive Kommunikation auf den Social-Media-Kanälen begleitet wurde. Schwerpunkte lagen unter anderem auf den Vertriebswegen, der Anerkennung im Fernverkehr oder den Fahrgastrechten“
Dies der Öffentlichkeit zu vermitteln, bedarf eines ebenso langen kommunikativen Atems wie die Suche nach Fachpersonal, dass die Bahn und der ÖPNV ebenso dringend braucht, wie viele andere Wirtschaftsakteure. Über 25.000 Menschen will die Bahn allein in diesem Jahr einstellen, „wir haben dabei 500 unterschiedliche Berufe im Angebot – vom Förster bis zum IT-Spezialisten“, bekräftigt Claudia Münchow, Leiterin und Sprecherin DB Kommunikation Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland. In einer neuen Kampagne werden daher Menschen ganz persönlich an ihrem Arbeitsplatz im Bahn-Konzern vorgestellt. Zugleich setzt der Staatskonzern verstärkt auf Ausbildung und Qualifizierung von Quereinsteiger:innen sowie Digitalisierung, um zum Beispiel alte Stellwerke durch moderne zu ersetzen. Und auch auf diesem schwierigen Feld kann die Inspiration und Motivation, die von einem „Ideenzug“ in einer Rödelheimer Industriehalle ausgeht, weiterhelfen. „Es gibt hier so viele Anregungen, wie man den ÖPNV neu denken kann“, sagt RMV-Pressesprecherin Rehermann. „Und dieser positive Spirit färbt auch auf die Beschäftigten ab.“
Hier geht’s zur Fotogalerie: BdKOM_Ideenzug (openeyeffm.de)