Like oder Dislike: Wollen junge Menschen gendern?

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Der BdKom veröffentlicht in jeder Ausgabe des Magazins KOM sowie online die Kolumne Fair formuliert. Die Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache greift darin jeweils eine Frage auf, die unter Kommunikationsprofis diskutiert wird. Diesmal geht es um die Generation Z und ihre Einstellung gegenüber gendersensibler Sprache.

von Jeanne Wellnitz 

05. Juli 2022

Gespräche übers Gendern kommen häufig an den Punkt, dass junge Menschen damit ja eher etwas anfangen könnten als ältere. Das spiegelt sich auch in der Medienwelt wider: Formate wie ze.tt und Zeit Campus verwenden beispielsweise den Genderdoppelpunkt, während die gedruckte Zeit generische Maskulina in Artikeln mitunter durch eine Doppelnennung am Anfang abfedert. Ist es tatsächlich so, dass der Jugend gendergerechtere Sprache wichtiger ist als älteren Generationen?

Das rheingold Institut befragte dazu im Frühjahr über 2.000 Menschen im Alter von 14 bis 35 Jahren. Eines der Ergebnisse: Mehr als die Hälfte finden gendersensible Formulierungen in Stellenanzeigen und in der Arbeitgeberkommunikation wichtig. Fast genauso groß ist aber auch der Anteil jener, die sich von der Debatte provoziert fühlen – nicht etwa wegen Genderstern und Co., sondern wegen der Art des Austausches.

Eine zunehmende Spaltung und Verhärtung der Fronten beim Thema Gendern belegt auch eine Umfrage des Instituts für Generationenforschung unter 2.398 Personen zwischen 16 und 71 Jahren. „Wir wollten ein gesamtgesellschaftliches Bild bekommen und auch die etwas Stilleren anhören“, erklärt Studienleiter und Generationenforscher Rüdiger Maas. Sein Fazit: Werden Menschen zu dem Thema befragt, gebe es hierzulande kaum Ambiguitätstoleranz, sondern nur ein Dafür oder ein Dagegen.

Wenig Ambiguitätstoleranz

Der statistisch typische Fan der Gender-Debatte (66 Prozent) ist übrigens weiblich, westdeutsch, hat einen Hochschulabschluss und ist zwischen 30 und 45 Jahre alt. Also nicht mehr Generation Z, sondern eher Y. „Für die Generation Z sind viele genderspezifische Errungenschaften längst selbstverständlich“, sagt Maas. Unternehmen, die dem Megatrend Gender Shift also nicht Rechnung tragen, würden möglicherweise als unmodern und damit nicht als agil und zukunftsträchtig eingestuft; beides Attribute, die jungen Menschen wichtig seien.

Aber es gibt auch etliche junge Leute, die in der Debatte eher kritische Positionen vertreten. Alicia Joe beispielsweise, 25-jährige Youtuberin, hat mit ihrem Video Warum Gendersprache scheitern wird Anfang dieses Jahres Öl ins Feuer gegossen (und in der NDR-Talkshow deep und deutlich gesagt, dass sie solche Titel für mehr Klicks wählt). Ihr Lösungsvorschlag: Wir könnten einfach weibliche Lehrer oder männliche Lehrer sagen – und auf das -in verzichten. Gegen diesen Vorschlag hatte Luise F. Pusch bereits vor mehr als 35 Jahren Einwände. In ihrem Buch Das Deutsche als Männersprache bezweifelt die Begründerin der feministischen Sprachkritik, dass sich in einer „Welt der Männer“ der Gebrauch von Adjektiven zur Genus-Spezifizierung durchsetze – also beispielsweise die männlichen Rechtsanwälte zu sagen, wenn Männer gemeint sind. Ein nachvollziehbares Argument! Oder würden Sie die weiblichen, nonbinären und männlichen Kommunikatoren verwenden, um auf ein gemischtgeschlechtliches Team zu verweisen, dessen Diversität Sie hervorheben wollen? Und wonach sollen sich die Pronomina richten in Wendungen wie der weibliche Kommunikator und sein (oder ihr?) Team? Luise F. Pusch plädierte damals für die Forcierung der weiblichen Form, auch wenn diese diskriminierend ist.

Neutralität ist gefragt

Wie wir wissen, hat sich das -in seit einigen Jahren teilweise zum -*in gewandelt. Seit April 2022 können wir diese Silbe nun auch beim Scrabbeln einsetzen und gleich zehn Punkte kassieren. Dennoch wohnt gerade der jungen Generation der Wunsch nach Entgenderung, also nach Neutralität, inne. Und so lautet auch die Empfehlung des rheingold Instituts: Unternehmen sollten ihre Zielgruppe als Individuen mit persönlichen Wünschen sehen, die eben keine bestimmte Geschlechtskategorie vertreten.

Vielleicht hilft hier und da das kostenlose Add-in von gender app weiter: In Word-Dokumenten schlägt es nämlich Varianten für generische Maskulina vor. Es lassen sich auch eigene Ideen eintragen oder das Wort bleibt einfach, wie es ist. Es geht schließlich darum, nach Kommunikationsanlass, Kontext und Gesprächsraum zu entscheiden, wie wir uns sprachlich ausdrücken. Egal ob jung oder alt. Ganz so, wie der Mystiker Rumi es einst treffend schrieb: „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“

Die Autorin

Jeanne Wellnitz ist Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache. Strategien fairen Formulierens und der Journalistenwerkstatt Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im JournalismusDie gebürtige Berlinerin ist neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin Redakteurin beim Fachmagazin Human Resources Manager. Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, beim Magazin KOM volontiert und schreibt Literaturkritiken für das Bücher Magazin und die Psychologie HeuteHier können Sie sich die Kolumne als Pdf herunterladen.

Quellen

Gendershift-Studie rheingold/Castenow (2022): https://www.rheingold-marktforschung.de/stolperfalle-gendern/ & https://www.castenow.de/insights/stolperfalle-gendern
Umfrage zur Gender-Debatte, Auszug aus den Gender-Studien Institut für Generationenforschung (Befragung im Herbst 2021, Studienunterlagen: Juni 2022): https://www.generation-thinking.de/post/gender-studie-teil-i
Alicia Joe Warum Gendersprache scheitern wirdhttps://www.youtube.com/watch?v=aZaBzeVbLnQ
deep und deutlich: Wird Gendern scheitern? Alicia Joe verteidigt ihr virales Videohttps://www.ardmediathek.de/video/deep-und-deutlich/wird-gendern-scheitern-alicia-joe-verteidigt-ihr-virales-video/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS80NjgxOGI5OC05ZmU0LTQ0MDMtYjU5YS03ZmZhMWVjZjBmMjk
Luise F. Pusch (1991). Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik, Suhrkamp, Seite 58ff.: https://www.suhrkamp.de/buch/luise-f-pusch-das-deutsche-als-maennersprache-t-9783518384152
Gender-Scrabblesteinhttps://www.mattel.de/unsere-marken/scrabble-genderstein/
App-In genderapphttps://genderapp.org/add-in

Diese Kolumne erschien zuerst im Magazin KOM 3/2022.
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