Jens Rehländer zum PR-Debakel an der Uni Hamburg

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Jens Rehländer (KG Wissenschaftskommunikation) zum PR-Debakel an der Uni Hamburg

Wo hatte die Covid-19-Pandemie ihren Ursprung? Ist das Virus von Zwischenwirten aus dem Tierreich auf die Menschen übergesprungen? Oder vielleicht aus einem chinesischen Forschungslabor entwichen? Man weiß es nicht. Die WHO recherchiert, bisher erfolglos. Und China zeigt sich wenig kooperativ. Da erscheint bei ResearchGate, einer Art Xing für die Wissenschaft, ein 105 Seiten langes Papier mit dem Titel „Studie zum Ursprung der Corona-Pandemie”. Wer sich reinklickt, ist verwundert, denn was da großspurig „Studie“ genannt wird, entpuppt sich im Wesentlichen als wirre Clipping- und Linksammlung. Ohne Peer Review (den obligatorischen wissenschaftlichen Qualitätscheck), ohne Preprint-Qualität, dafür u.a. mit Material von YouTube, RTL, Twitter und Verschwörungstheoretikern.

Zudem ist es kein Virologe, sondern ein Physiker an der Universität Hamburg, der hier seine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel setzt. Roland Wiesendanger also glaubt am Ende seines Streifzugs durch die Sekundär-, Tertiär- und Boulevardliteratur beweisen zu können, was bisher keinem gelang: Das Virus stamme aus einem lecken Labor in der chinesischen Stadt Wuhan.

Diese Theorie wird tatsächlich diskutiert, ist aber, wie erwähnt, nicht bewiesen und auch nur eine von mehreren Spekulationen. Und so könnte man die Ausarbeitung als Privatissimum einfach vergessen. Hätte die Universität Hamburg den Social Media-Eintrag ihres Professors nicht am 18. Februar mit einer eigenen Pressemeldung in die Aufmacher vieler Medien katapultiert. „Hamburger Professor sicher: Corona kam doch aus einem Labor in Wuhan“, titelt die BILD-Zeitung. Der NDR verbreitet die Schlagzeile fast wortgleich, wenn auch mit leisem Vorbehalt: „Hamburger Forscher: Corona-Virus stammt wohl (sic!) aus dem Labor.“

Fast zeitgleich mit dem Mediengetöse aber schwillt der Chor der Kritiker*innen aus Scientific Community und Wissenschaftsjournalismus an: Warum adelt die Uni Wiesendangers wirres Konvolut mit einer Pressemitteilung – trotz dessen eklatanter wissenschaftlicher Unzulänglichkeit? Warum wählte er ResearchGate und keinen einschlägigen Preprint-Server wie medRxiv? Warum verbreiten sogenannte Qualitätsmedien den Stuss ohne Prüfung weiter – mit löblicher Ausnahme von dpa? Welche Rolle spielt Uni-Präsident Dieter Lenzen, mit dem Wiesendanger nach eigenen Worten die Pressemitteilung persönlich vorbesprochen hatte?

Sehr schnell geht es in der Debatte seither um Grundsätzliches: um Qualität, Ethik und Verantwortung von Wissenschaft, PR und Journalismus gegenüber der Öffentlichkeit. Man erinnert sich an die Lungenärzte-Affäre vor genau zwei Jahren. Damals hatten die Leitmedien der Republik einem pensionierten Lungenarzt ermöglicht, mit privaten Berechnungen gegen die weltweite Feinstaub-Forschung ins Feld zu ziehen, sogar im heute journal. Nach einer Woche brachte ein Wissenschaftsjournalist der taz den Scheinriesen zu Fall – durch schlichtes Nachrechnen.

Nun steht dieselbe Trias erneut vor einem Scherbenhaufen. Und vor einer Bevölkerung, die sich fragt, wie verlässlich die Wissenschaft ist, wie vertrauenswürdig die PR und wie sachkompetent der Journalismus?  „Zum Schutz der Institutionen, der Forschenden, aber auch der Wissenschaft als Ganzes müssten die Kommunikationsabteilungen der Hochschulen solche Veröffentlichungen stoppen“, sagt Julia Wandt, die Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation, bei stern.de.

Ein frommer Wunsch. Denn solange zum Beispiel die „Leitlinien für gute Wissenschafts-PR“ ein Kriterienkatalog ohne Verbindlichkeit und Sanktionsmöglichkeit bleiben, solange werden Wissenschafts-PR-Abteilungen gezwungen werden, sich für unlautere Ziele einspannen zu lassen.

Text: Jens Rehländer
Bild: GettyImages/Tera Vector