Geht Nachhaltigkeit auch ohne Krisenkommunikation?

Home Blog Geht Nachhaltigkeit auch ohne Krisenkommunikation?

Mit einem starken Plädoyer für eine neue Kommunikation zur Nachhaltigkeit war die Lausanner Professorin Julia Binder Anfang Februar 2023 virtueller Gast beim BdKom. Zur Mittagszeit sprach sie in der jüngsten Auflage des Formats „Denkfabrik“ der Landesgruppe Hessen / Rheinland-Pfalz / Saarland mit knapp 100 Teilnehmenden aus zahlreichen Landes- und Fachgruppen über ihre Forschung. Binder arbeitet am renommierten International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne vor allem an den Themen Sustainable Innovation and Business Transformation.

„Wir müssen eine positive Vision von der Zukunft aufzeigen, damit wir künftige Generationen begeistern und mitnehmen können“, sagte Binder, nachdem sie zuvor in ihrem Vortrag mit dem Bild „Earth Rise“ an die Ursprünge der Nachhaltigkeitsbewegung erinnert hatte. Das Bild war von Astronauten vom Mond aus aufgenommen worden und hatte damit die Verletzlichkeit der Erde erstmals ins kollektive Bewusstsein der Menschen gerufen. In den Jahren danach entstanden Umweltbewegungen, die wissenschaftliche Klimaforschung und am Ende die UN-Klimakonferenzen. Aber: „55 Jahre, nachdem das Bild aufgenommen wurde, müssen wir feststellen, dass wir mit dem Schutz der Erde nicht besonders erfolgreich waren“, sagte Binder, „heute gibt es mehr Probleme zu lösen als damals.“

Konstruktive Klimadiskussion nötig
Der Alarmismus, der die vergangenen Jahre die Klima-Diskussion prägte, habe sich dabei jedoch abgenutzt. Außerdem reihen sich heute verschiedene Krisen aneinander. Die Klimakrise von 2018 wurde 2020 von der Corona-Pandemie abgelöst, an den sich seit 2022 der von Russland begonnene Krieg in der Ukraine anschloss. Collins Dictionary erklärte vor diesem Hintergrund die „Permacrisis“ zum Wort des Jahres 2022. Es soll das Gefühl beschreiben, dass die Menschen in einer Zeit des Krieges, der Inflation und der politischen Instabilität leben.

Dieser Begriff richtet aber aus Binders Sicht gerade bei jungen Menschen Schaden an, weil sie ihre Perspektive in die Zukunft verlieren. Sie fragte: „Wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden überhaupt noch voll motivieren, wenn die Zukunft gar nicht mehr erstrebenswert ist?“ Binder rief daher dazu auf, einen konstruktiven Klimadialog zu führen, der einerseits faktenbasiert sei, aber andererseits durch konkretes Handeln Mut mache.

Realistische Ziele setzen und kommunizieren
Unternehmen sollten ihrerseits Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln, die auf die jeweilige Firma passen und sich nicht nur auf die Kompensation von CO2-Emissionen beschränken. Würden Unternehmen ernst gemeinte Nachhaltigkeitsstrategien umsetzen, könnten sie diese auch glaubhaft kommunizieren, ohne sich dem Vorwurf des „Greenwashings“ auszusetzen. Auch das „Greenhushing“ sei keine echte Option. Bei diesem Phänomen äußern sich Unternehmen aus Angst vor Greenwashing-Vorwürfen gar nicht mehr zu ihren Nachhaltigkeits-Zielen.

Binder sagte: „Wir müssen wegkommen von abstrakten Langfristzielen. Stattdessen müssen sich Unternehmen realisierbare Ziele setzen, diese kommunizieren und damit zu einer konstruktiven Stimmung beitragen.“ Gesucht werden: „Realisierbare Beispiele, die mitreißen und zum Wesen des jeweiligen Unternehmens passen.“

3.236 Zeichen inkl. Leerzeichen und Überschriften
Text: Oliver Claas
Bild: Bettina Schmidt und International Institute for Management Development (IMD)


Die BdKom-Denkfabrik (o.r.) hatte Prof. Julia Binder (o.l.) vom International Institute for Management Development (u.) zu Gast.