Wie sprechen wir gendergerecht?

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Der BdKom veröffentlicht in jeder Ausgabe des Magazins KOM sowie online die Kolumne Fair formuliert. Die Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache greift darin jeweils eine Frage auf, die unter Kommunikationsprofis diskutiert wird. Diesmal geht es um den gesprochenen Genderstern und den diesjährigen Buchpreis.

von Jeanne Wellnitz 

Das war sicherlich knifflig für einige Journalist­innen und Podcast-Hosts: Kim de l’Horizon,  eine nichtbinäre Person, gewinnt mit dem Debütroman Blutbuch den diesjährigen deutschen Buchpreis. So war es den beiden Zeit-Journalisten Ijoma Mangold und Lars Weisbrod im Podcast Die sogenannte Gegenwart beispielsweise deutlich anzumerken, wie schwierig es für sie war, Kim de l’Horizon nicht zu missgendern.

Um respektvoll über die Preisvergabe berichten zu können, ist es also hilfreich, im gesprochenen Gendern sattelfest zu sein. Kim de l’Horizons Insta­gram-Kanal verrät uns: Die Ansprache sollte entweder ohne Pronomen oder durch die Neopronomen dey/dem erfolgen. Im Zeit-Podcast wird dey jedoch mitunter durch er/ihm missgendert. Ohnehin spricht die Presse, wenn sie über autobiografische Fiktion elaboriert, gern vom Autor oder Erzähler, statt von ErzählfigurErzählinstanz oder erzählendem Ich. Das geht dann ganz ohne Genderstern.

Der Glottisschlag

Wollen wir ihn jedoch bewusst einsetzen und aussprechen (Autor*in), bietet sich dafür der Glottisschlag an. Die Varianten des Genderns werden durch ihn alle gleich ausgesprochen: mit einer Pause an der Stelle des Satz- oder Sonderzeichens. In der Linguistik heißt diese Pause auch „stimmloser glottaler Plosiv“. Es ist der Knacklaut, der beim Sprechen beispielsweise zwischen „Spiegel-“ und „-ei“ entsteht. In queeren Communitys werden der Genderstern und seine Varianten bereits seit Jahrzehnten auf diese Weise lautlich realisiert. Erfunden hat diese Aussprache nach Selbstaussage Luise F. Pusch vor mehr als 35 Jahren. Sie ist eine Pionierin der feministischen Linguistik. Damals sei sie wiederholt gefragt worden, wie das Binnen-I ausgesprochen werden solle, erzählt sie der Journalistin Christine Olderdissen 2020 in einem Interview für Genderleicht.de. „Mit einer Minipause“, war ihre Antwort.

Die Erfinderin der Minipause

Christine Olderdissen hat 2021 das Sachbuch Genderleicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt geschrieben. Darin steht auch ein Hinweis zum gesprochenen Gendern. Er lautet sinngemäß: Überbetonen Sie nicht den hinteren Wortteil! Das passiere nämlich, wenn Menschen sich beim Sprechen zu sehr auf die Aussprache konzentrierten. „Wenn Sie das Wort ‚Bäckerinnung‘ sagen können, schaffen Sie auch das Wort ‚Bäcker*innen‘ auszusprechen“, lautet ein Tipp aus ihren Vorträgen.

Für die Medienarbeit von Kommunikationsverantwortlichen bedeutet der Einsatz vom Glottisschlag für eine gendergerechtere Sprache auch: Klären Sie vor einem Interview, welches Satz- oder Sonderzeichen hinter dem Verschlusslaut steckt und wie das Medium schriftlich damit umzugehen gedenkt. So wurde beispielsweise sogar in der Zeit der Genderstern in einem Interview gedruckt, weil der Interviewpartner, der Rassismusforscher Martin Lüthe, ihn mitgesprochen hatte.

Nonbiarität in der Berufsbekleidung

Einige Unternehmen brechen auch an anderer Stelle mit der Binarität: So hat die britische Fluggesellschaft Virgin Atlantic Airways im Herbst bekannt gegeben, dass Angestellte fortan frei wählen dürften, ob sie Hose oder Rock als Berufsbekleidung tragen. Die Deutsche Bahn zog wenig später nach: Norbert Nirschl, der Vorsitzende des LGBTIQ*-Netzwerks railbow, gab auf Linkedin bekannt, dass die 45.000 Mitarbeitenden sich ihre Kollektion künftig selbst zusammenstellen dürften. Dieser Schritt ist Zeitgeist.

Haben sich die Zeiten des Gender-Marketing also tatsächlich überholt? Diversity-Beraterin Simone Burel kommentiert auf Nachfrage: „Branchen mit unterversorgten Zielgruppen – wie Finanzen und Versicherungen – profitieren vom Gender-Marketing, da sich viele Angebote noch viel zu sehr an männlichen Lebensentwürfen und Problemen orientieren.“ Fashion-Onlineshops und Berufskleidungshersteller könnten hingegen bei queeren Zielgruppen punkten, wenn sie binäre Strukturen auflösten und Unisex-Produkte anböten, sagt sie.

Virgin-Atlantic-Geschäftsführer Shai Weiss verkündete übrigens kürzlich in einem Interview mit The Telegraph, dass seit der Lockerung der Uniformregelung die Bewerbungen für Jobs in der Kabine um 100 Prozent gestiegen seien.

Die Autorin

Jeanne Wellnitz ist Autorin des Kompendiums Gendersensible Sprache. Strategien fairen Formulierens und der Journalistenwerkstatt Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im JournalismusDie gebürtige Berlinerin ist neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin Redakteurin beim Fachmagazin Human Resources Manager. Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, beim Magazin KOM volontiert und schreibt Literaturkritiken für das Bücher Magazin und die Psychologie HeuteHier können Sie sich die Kolumne als Pdf herunterladen.

Quellen

Zeit-Podcast. Die sogenannte Gegenwart: https://www.zeit.de/kultur/2022-10/deutscher-buchpreis-kim-de-lhorizon-feuilleton-podcast

Kim de l’Horizons Instagram-Kanalhttps://www.instagram.com/kimdelhorizon/?hl=de

Interview mit Luise F. Pusch von Christine Olderdissen auf genderleicht.de: https://www.genderleicht.de/luise-f-pusch-und-der-genderstern/

Christine OlderdissenGenderleicht. Wie eine Sprache für alle gelingt, Dudenverlag, 2022: https://shop.duden.de/products/genderleicht-wie-sprache-fur-alle-elegant-gelingt

Interview mit Martin Luethe in der Zeithttps://www.zeit.de/2021/45/cancel-culture-universitaeten-debatte-sandra-kostner-martin-luethe

Pressemitteilung Virgin Atlantic Airwayshttps://corporate.virginatlantic.com/gb/en/media/press-releases/virgin-atlantic-updates-gender-identity-policy.html

Linkedin-Post Norbert Nirschl von der Deutschen Bahnhttps://www.linkedin.com/posts/norbertnirschl_uniformen-mode-unternehmensbekleidung-activity-6993601835169120256-4jC7?utm_source=share&utm_medium=member_desktop

Interview mit Shai Weiss im Telegraphhttps://www.telegraph.co.uk/business/2022/11/02/virgin-atlantic-job-applications-double-male-crew-allowed-wear/

Diese Kolumne erschien zuerst im Magazin KOM 6/2022.
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